Frauen unter Tage: Interview mit Kerstin Ratsch

Das sich Frauen und Technik ausschließen war schon immer ein Mythos. Aber in den vergangenen Jahren nehmen immer mehr Frauen beherzt ihre Fähigkeiten in die eigene Hand – und widerlegen die Klischees. Moderne Arbeitgeber empfangen diese Frauen mit offenen Armen. Ein Beispiel ist Kerstin Ratsch aus Sachsen-Anhalt.

Seit September 2022 arbeitet die 41-Jährige für Sandvik in „faszinierender Funktion“, wie sie selbst es auch bei all der Routine, die sich natürlich längst eingestellt hat, heute immer noch selbst beschreibt. Für den Unternehmensbereich „Mining and Rock Solutions“ ist Kerstin Ratsch im Außendienst tätig: Als Vertriebsprofi im Sandvik-Team für Ersatzteile und Service (Parts and Service Sales Representative) sind Untertage-Arbeitsmaschinen des schwedischen Marktführers ihr Spezialgebiet. In der untertägigen Welt des Kalisalzbergbaus betreut Kerstin Ratsch für Sandvik Fahrzeuge und Maschinen an fünf Bergwerksstandorten der K+S Gruppe in Deutschland.

Was so aufregend klingt, ist es auch, wie Kerstin Ratsch findet. Am Arbeitsplatz in tausend Metern Tiefe gelten eigene Regeln, weiß Kerstin aus ihrer Erfahrung als Teil des Mining-Teams von Sandvik. Ihr Motto über eine außergewöhnliche Arbeit in und mit der Untertagetechnik lautet: Frau im Bergbau? – trau dich! Das Interview mit Kersten Ratsch zeigt, was damit gemeint ist:

Die zweifellos wichtigste Frage vorweg: Was macht frau als Parts and Service Sales Representative für Sandvik im konkreten Unternehmensbereich „Mining and Rock Solutions“?

Ich bin für alle K+S Standorte in Deutschland zuständig und bilde dort das Bindeglied zwischen dem Kunden und Sandvik als Hersteller. Das betrifft den Bedarf an Ersatzteilen oder auch die Koordinierung von Serviceterminen für die gesamte Sandvik-Flotte in den Bergwerken – bestehend aus Fahrladern und Trucks sowie Schneidtechnik Mehrmals im Monat fahre ich unter Tage ein – das macht den Unterschied und die echte Abwechslung, obwohl natürlich Schreibtischarbeit auch bei mir den Großteil darstellt.

Was hat dich gepackt am untertägigen Bergbau?

Es ist einfach eine ganz andere Welt, die sich mir hier erschlossen hat und mich jedes Mal aufs Neue fasziniert. Die Umgebungsbedingungen sind sehr speziell mit teilweise um die 40 Grad und Salzstaub in der Luft – aber nichts, was man nicht aushalten kann. Dafür habe ich schon beeindruckende Sachen gesehen wie meterhohe Salzhallen und die brachiale Kraft unserer Maschinen im Einsatz oder einfach mal völlige Dunkelheit und Stille. Es hat immer etwas Besonderes, kilometerweit durch das Gebirge unter Tage zu fahren. Aber das ist nur eine Facette. Dazu kommt die menschliche Komponente: So empfinde ich den Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft unter Tage als etwas sehr Positives. Die lockere Art – man ist per Du – gefällt mir gut und schafft direkt ein ganz besonderes kollegiales Verhältnis.

Ein Arbeitsplatz, wie es heute in Deutschland wohl nur wenige gibt, macht natürlich neugierig. Daher die Frage: Wie sieht der Werdegang einer selbstbewussten Frau aus, die in Bergwerken schwere Arbeitsmaschinen betreut?

Das beginnt oft schon in der Kindheit – das ist wohl bei Jungen und Mädchen gleich. Ich selbst hatte schon immer eher einen Hang zu ‚männlichen‘ Hobbys. So habe ich in meiner Jugend Fußball gespielt und hatte auch schon immer eine gewisse Affinität zu Autos, LKWs und Baggern – allerdings ohne mich damit jetzt im Detail technisch beschäftig zu haben. Das konkrete Interesse am Bergbau hat sich dann aber tatsächlich erst im Laufe meiner beruflichen Laufbahn entwickelt.

Dein Weg „in die Unterwelt“ war ja nicht gradlinig aber schon zielgerichtet. Brauchte es nur eine Zeit, sich eben auch zu trauen?

Ja, tatsächlich deutete mein Lebensweg nach der Schule auch nur kurz in eine ganz andere Richtung und ich begann ein Lehramtsstudium. Nach zwei Jahren Grundstudium wechselte ich jedoch bereits in die technische Praxis. Über die folgenden fast zwei Jahrzehnte war ich für einen international agierenden Hersteller von Fördertechnik tätig. Das war überwiegend im Büro, aber ich hatte hier bereits intensive Berührungspunkte zur Bergbauwelt.

Du hast sogar eine erfolgreiche Karriere gemacht– warum dann der Wechsel in die Maschinenwelt unter Tage?

Das stimmt, ab 2020 hatte ich in der Position als Innendienstleiterin für den Verkauf und die Kundenbetreuung im Mining-Segment unter anderem mit K+S, oder Firmen im Kohlebergbau zu tun – mit einem internationalen Kundenkreis von Südamerika bis in den Asiatischen Raum. Gleichzeitig war ich an einem Punkt angekommen, wo mich der bisherige kaufmännische Schwerpunkt nicht komplett ausfüllte. Der Wunsch, mehr am Ort des Geschehens zu sein und auf Tuchfühlung mit den großen Anlagen und Maschinen im Bergbau zu gehen hat mich schon sehr lange begleitet. der Suche nach neuen Herausforderungen im technischen Bereich kam Sandvik grade recht.

Wie haben K+S, Sandvik und Kerstin Ratsch denn zusammengefunden?

Ich selbst habe zwar keine familiäre Bergbautradition vorzuweisen aber bei uns in der Region ist die untertägige Salzgewinnung natürlich mit mehreren Standorten seit jeher präsent. Da hat der eine oder andere alte Nachbar schon mal Geschichten aus seiner Zeit im Salzbergbau erzählt. Sandvik war dann plötzlich ein Thema, da mir die Firma aus dem Mining Geschäft bereits bekannt war und da es hier vor allem menschlich gut gepasst hat, habe ich mich ‚getraut‘: Das „Abenteuer“ lockte – Sandvik bot einen neuen Aspekt und ich griff zu, das war am Ende alles gar nicht so kompliziert. Ich bin dann auch direkt in meiner Position als Parts and Service Sales Representative (PSSR) eingestiegen und in den Außendienst gewechselt. Zur Einarbeitung hat mir Sandvik die Gelegenheit gegeben eine komplette Ladermontage auf dem Bergwerk Bernburg zu begleiten, was für mich eine lehrreiche und spannende Erfahrung war und mir die Möglichkeit gegeben hat das echte ‚unter Tage Leben‘ kennenzulernen. Das erste Mal vor einer unserer Maschinen unter Tage da hatte ich definitiv Respekt vor der neuen Aufgabe aber war mir auch sicher: ‚Das kann man schaffen – und frau natürlich auch!`

Wenn du deine Erfahrung kurz zusammenfassen solltest, wie wäre dein Fazit heute zum Thema untertägiger Bergbau?

Auf jeden Fall ist die Branche besser als ihr Ruf – rau, aber herzlich und immer absolut kollegial. Natürlich sind die Ansprüche hoch, es ist ja auch ein ganz besonderes Metier: Teure Anlagen und höchste Sicherheitsanforderungen stehen hier im Vordergrund – das weiß auch Jeder und alles andere gerät dabei in den Hintergrund – Geschlechtsunterschiede allemal. Ich persönlich habe bisher keine negativen gemacht, im Gegenteil, ich habe mich tatsächlich immer wohl gefühlt. Und besonders bemerkenswert: Ich habe nie den Eindruck gehabt, unterschätzt zu werden. Das hat mir ganz schnell das Gefühl gegeben, in der richtigen Branche – im richtigen Team, denn das gilt auch für Sandvik – angekommen zu sein.

Welche Eigenschaften sollte man – neben der fachlichen Kompetenz – in deinem Beruf noch mitbringen?

Eine offene, direkte und ehrliche Art kommt in der Branche und speziell unter Tage eigentlich immer gut an. Eine echte Leidenschaft zu den Maschinen und den Gegebenheiten unter Tage – möglichst frei von klaustrophobischen Ängsten – ist natürlich auch hilfreich. Die Erkenntnis, dass sich Teamgeist und Eigenverantwortung nicht ausschließen, sondern vielmehr als Eigenschaften perfekt harmonieren können, zeigt sich unter Tage so deutlich, wie sonst kaum irgendwo.

Was sind deiner Meinung nach die größten Herausforderungen für Frauen in deinem Sektor?

Es sich selbst zuzutrauen und eben zu sagen: Hier bin ich, ich mach das jetzt und wir kommen schon klar alle zusammen. Ich denke, es ist nicht nur für die Frauen neu in den Bereichen tätig und erfolgreich zu sein. Für die Männer ist das auch Neuland, dass wir Mädels jetzt mitmischen. Es ist also Arbeit, Verständnis und Toleranz auf beiden Seiten erforderlich. Es ist nach meiner Erfahrung gar nicht nötig, sich zu verstellen: Trotz meiner Karriere in der Welt der Technik war ich immer ganz Frau und habe mich für Schminke, Haare und Klamotten interessiert. So steht für mich bis heute eine korrekte Schutzausrüstung unter Tage nicht im Gegensatz zu Make-Up, lackierten Nägeln und langen Haaren.

Längst hat sich Kerstin Ratsch in der Bergbauwelt im Team von Sandvik sowie bei den Kollegen etabliert, daher fällt die Antwort auf die Frage einfach aus:

Wohin möchtest du dich zeitnah beruflich und persönlich weiterentwickeln?

Ich denke persönlich sehr angekommen zu sein. Was sich vorrangig in unserem Familienleben widerspiegelt, doch auch hier spielt der Faktor Beruf eine Rolle und ich bin dankbar für die Unterstützung durch meine Familie. Mit 2 Kindern und was im Alltag eben alles so anfällt, bedarf es auch zu Hause einer Menge Teamwork, da mein Job auch eine gewisse Reisetätigkeit mit sich bringt. Meine beruflichen Ziele separat betrachtet bin ich natürlich auch weiterhin ambitioniert mich weiterzuentwickeln. Zum einen habe ich keine Scheu Chancen zu ergreifen, die sich bieten, aber natürlich treibt mich auch die Vertiefung von technischem und bergmännischem Fachwissen dabei an.

Das der alte Spruch „Frauen unter Tage bringen Unglück“, der seit Jahrhunderten unter Bergmännern umgeht, heute immer noch präsent sein soll, kommentiert Kerstin Ratsch freimütig mit Humor und lacht: „Ganz ehrlich, ich wollte das schon immer mal fragen und gebe auch zu am Anfang schon Mitleid gehabt zu haben mit denen, die an diesem Aberglauben eventuell noch festhalten und nun mit mir in einem Korb mehr als 700 m in die Tiefe fahren müssen – aber wahrscheinlich gibt es davon gar nicht mehr so viele. Ich bin damit zumindest bisher nicht konfrontiert worden.

Text/Foto: Sandvik

Ohnehin lautet das Fazit der Sandvikfachfrau zum Thema Frauen in technischen Berufen – heute leider ja immer noch eine Minderheit:

 „Mädels, traut euch! Wie überall ist eine gute Mischung oft günstig für eine gute Stimmung im Team. Das erlebe ich auch in den sehr wenigen Bereichen, in denen auch mal Frauen unter Tage arbeiten. Schon in den bisherigen Stationen meiner beruflichen Laufbahn habe ich immer zu schätzen gewusst, Teil eines gut gemixten Teams sein zu dürfen – und da meine ich natürlich sowohl ein Mix Männer zu Frauen aber auch verschiedenen Alters und unterschiedlicher Mentalitäten. Heute wird Diversität sehr thematisiert, aber ich denke, dass Vielfältigkeit schon immer ein Schlüssel zum Erfolg war.“

Hast du einen Ratschlag für junge Frauen, die am Anfang ihrer Laufbahn stehen?

„Schärfe dein Bewusstsein für deine Bedürfnisse und Vorlieben! Wenn du Interesse an Technik, Bergbau oder auch anderen Bereichen hast, die eben nicht unbedingt als weiblich gelten, dann mach! Ich denke die Thematisierung: ‚Was du machst das als Frau?‘ ist häufig hausgemacht – von Frauen selbst. Sei einfach mutig und mach wozu du dich berufen fühlst. Mehr bedarf es aus meiner Sicht gar nicht.“

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